Wie hilft die Retrogade Methode der Inventur?

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Die retrograde Methode ist nur eine von vielen Verfahren, die ein Unternehmen zur Verbrauchsermittlung anwenden kann.

In vielen Unternehmen spielen die Vorräte eine wesentliche Rolle im Liquiditätsmanagement. Gerade im Zusammenhang mit den Vorräten gibt es daher viele Kennzahlen und Methoden, um Erkenntnisse für weitere Entscheidungen zu gewinnen. Zu viele Vorräte können darauf hinweisen, dass die Verkaufszahlen nicht stimmen. Und natürlich wollen Unternehmen auch wissen, wie viele Vorräte verbraucht worden sind. Die Vorratsbewertung ist jedoch in der Praxis manchmal alles andere als einfach. Die retrograde Methode ist ein simples Verfahren, um den Verbrauch an Vorräten festzustellen. Doch auch in der Kassenführung spielt sie eine Rolle. Hier ein kleiner Einblick.

Retrograde Methode: Inventur

Kaufleute sind verpflichtet, einmal im Jahr eine Inventur durchzuführen. Dabei handelt es sich um die Bestandsaufnahme über das Vermögen und die Schulden eines Unternehmens zu einem bestimmten Stichtag. Schnell hat man das Bild von Mitarbeitern des Unternehmens im Kopf, die in einer Lagerhalle stehen, verschiedene Gegenstände zählen, messen oder wiegen und das Ergebnis in Listen festhalten.

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Wichtig: Die Inventur muss ordnungsgemäß durchgeführt werden. Das Finanzamt kann andernfalls die komplette Buchführung des Unternehmens als nicht ordnungsgemäß einstufen und Hinzuschätzungen vornehmen, die den Jahresüberschuss und damit auch die Steuerbelastung erhöhen.

Doch wenn ein Unternehmen auch noch so bemüht ist, die Inventur ordnungsgemäß durchzuführen: In der Praxis gibt es immer wieder Situationen, in denen ein Unternehmen an seine Grenzen kommt. Wie soll beispielsweise ein kleiner Einzelhändler den Aufwand einer Inventur bewältigen, wenn sich bestimmte Güter nicht wirklich gut zählen, messen oder wiegen lassen?

Hier gibt es einen Ausweg: Mit der retrograden Methode kommt ein Verfahren zum Einsatz, dass den Prozess vereinfachen soll. Zählen, messen, wiegen – also die klassische Inventurmethode – kommt dann nicht zum Einsatz.

Wichtig: Die retrograde Methode ist nur eine von vielen Verfahren, die ein Unternehmen zur Verbrauchsermittlung anwenden kann. Weitere Verfahren sind beispielsweise die Inventurmethode oder die Fortschreibungsmethode.

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Retrograde Methode: Definition

Die retrograde Methode ist ein Verfahren zur Ermittlung des Verbrauchs bei Vorräten. Mit dieser Methode kann also der Verbrauch von Material, Gütern bzw. Waren ermittelt werden. Häufig fällt der Begriff „Rückrechnungsmethode“.

Der Grund ist recht einfach: Anhand von den Verkäufen bzw. den hergestellten Gütern wird Rückrechnung durchgeführt. So können die Anschaffungskosten bestimmter Materialien bzw. Güter ermittelt werden. Bei der Herstellung bildet der sog. Soll-Verbrauch die Berechnungsbasis. Im Handel wird der Verkaufspreis als Ausgangswert genutzt.

Wenn man also beispielsweise davon ausgeht, dass bei der Herstellung eines Maschinenbauteils 16 Schrauben standardmäßig verbraucht werden, dann wird ebendies durch die retrograde Methode berücksichtigt.

Retrograde Methode:Vorräte

Bei größeren und kostspieligen Vermögensgegenständen ist es häufig einfach, deren Verbrauch zu ermitteln. Doch wie sieht es aus, wenn in einem Lager tausende Kleinteile, wie beispielsweise 200.000 Schrauben lagern? Wie soll dann der Verbrauch ermittelt und einzelnen Gütern zugeordnet werden? Und wie kann eine Teilwertabschreibung erfolgen? In diesem Fall kann eine Verbrauchsermittlung schlichtweg zur Mammutaufgabe werden.

In der Praxis haben Unternehmen für Fälle wie diese nach Methoden gesucht, um eine pragmatische und sinnvolle Lösung zu finden. Die retrograde Methode kann die Buchführung hier entlasten.

Hinweis: Im Handelsrecht findet sich die gesetzliche Regelung für die Anwendung dieser Bewertungsmethode in § 241 Handelsgesetzbuch (HGB). Doch auch im Steuerrecht wird die Methode von der Finanzverwaltung anerkannt. Entsprechende Verwaltungsanweisungen finden sich in R 6.8 Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) bzw. H 6.8 Amtliche Hinweise zu den Einkommensteuer-Richtlinien.

Retrograde Methode: Verbrauch

Voraussetzung dafür, dass eine retrograde Methode zur Anwendung kommen kann, ist die Kenntnis des Standardverbrauchs. Mit anderen Worten: Die Kostenrechnung musste einmal den exakten Verbrauch erfasst haben. Nur dann sind Werte vorhanden, anhand derer sich die retrograde Methode orientieren kann.

Retrograde Methode: Bedeutung

Die Inventur ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern für Unternehmen auch eine wichtige Informationsquelle über die eigenen Vorräte. Schließlich wird viel Kapital in den Vorräten gebunden. Für das Liquiditätsmanagement sind Vorräte deshalb immer wieder im Fokus, wenn es um Maßnahmen geht, die Liquidität zu verbessern.

Doch so bedeutsam die Inventur für jedes Unternehmen auch ist – klar ist ebenfalls, dass ein großes Interesse besteht, mit möglichst wenig Aufwand der jährlichen Verpflichtung nachzukommen. Mit der retrograden Methode nutzen Unternehmen ein Verfahren, das bei der Ermittlung des Verbrauchs nicht nur Zeit und Kosten spart: Dank diesem Verfahren können Unternehmen auch mögliche Kostensenkungsmaßnahmen ermitteln.

Außerdem müssen die Vermögensgegenstände, die durch die retrograde Methode ermittelt wurden, nicht aufgezeichnet werden (vgl. § 241 HGB). Auch das ist eine deutliche Entlastung im Rahmen der Inventurarbeiten.

Retrograde Methode: Formel und Berechnung

Ausgangsbasis für die Berechnung des Verbrauchs nach der retrograden Methode ist ein sog. Soll-Verbrauch. Es muss also bekannt sein, wie viel Material beispielsweise standardmäßig für die Herstellung eines bestimmten Produktes verbraucht wird.

Allerdings laufen im Alltag nicht alle Dinge immer perfekt: Waren können verderben oder es kann zu Beschädigungen kommen. Und leider kommt es auch immer wieder vor, dass Diebstähle zu einem Schwund an Vorräten führen. Damit die retrograde Methode dies mitberücksichtigt, wird häufig ein entsprechender Zuschlag berechnet.

Die Formel bei der Herstellung von Gütern lautet:

Sollverbrauchsmenge (je Stück) + Zuschlag (Ausschuss/Lagerminderung) = Soll-Verbrauch

Beispiel: Bei der Herstellung eines Maschinenbauteils werden im Normalfall 85 Schrauben verarbeitet. Doch regelmäßig wird festgestellt, dass einige Schrauben nicht richtig fassen und fehlerhaft sind. Das Unternehmen ermittelt deshalb für das Maschinenbauteil folgenden Schraubenverbrauch: 85 + 5 Schrauben (Ausschuss) = 90 Schrauben

Für hergestellte Produkte orientieren sich die Anschaffungskosten dann nach:

Soll-Verbrauch * hergestellte Stückzahl = Verbrauch

Im Handel wird die retrograde Methode so eingesetzt, dass die Anschaffungskosten ausgehend vom Verkaufspreis zurückgerechnet werden.

Die Formel lautet dann: Verkaufspreis – Rohgewinnaufschlag/Handelsspanne = Anschaffungskosten

Retrograde Methode: Herstellungskosten

Wenn ein Unternehmen wissen will, wie hoch die Herstellungskosten bei der Produktion eines bestimmten Wirtschaftsguts ausfallen, dann muss es – neben weiteren Kosten - den Materialverbrauch berücksichtigten. Die retrograde Methode liefert also wichtige Daten.

Retrograde Methode findet auch beim Kassenbericht Anwendung

Auch die Kassenbuchführung kann mit erheblichem Aufwand verbunden sein. Denkt man an einen klassischen Marktstand, der Obst und Gemüse zum Verkauf anbietet – dann findet man in den seltensten Fällen eine Registrierkasse. Stattdessen handelt es sich meistens um eine kleine, offene Ladenkasse.

Die täglichen Einnahmen werden dann ebenfalls durch die retrograde Methode ermittelt. Ausgangsbasis ist der Bestand der Kasse am Ende des Tages. Private Einlagen werden abgezogen, private Entnahmen hinzugerechnet und der Bestand der Kasse zum Beginn des Tages noch abgezogen. Als Ergebnis verbleiben die Tageseinnahmen. Die Formel lautet also:

Bestand der Kasse am Tagesende – private Bareinlagen + private Barentnahmen – Bestand der Kasse zum Beginn des Tages = Tageseinnahmen

Retrograde Methode: Teilwert

Das Vorratsvermögen gehört zum Umlaufvermögen. In der Bilanzierung spielen Abschreibungen eine große Rolle. Meist betreffen Abschreibungen das Anlagevermögen. Doch auch beim Umlaufvermögen kann in bestimmten Fällen eine Teilwertabschreibung vorzunehmen sein. Dies ist gegeben, wenn eine dauerhafte Wertminderung vorliegt (zum Beispiel durch gesunkene Wiederbeschaffungskosten).

Die retrograde Methode kann zur Ermittlung der Anschaffungskosten eingesetzt werden, damit daraus folgend die Teilwertabschreibung berechnet werden kann.

Vorteile der retrograden Methode

Ein Vorteil der retrograden Methode ist die Einfachheit. Die Buchhaltung wird entlastet und der Verbrauch kann konkret je Produkt zugeordnet werden. Für die Kostenrechnung bietet die retrograde Methode viele Erkenntnisse. Die Daten können beispielsweise genutzt werden, wenn das Liquiditätsmanagement Kostensenkungsmaßnahmen planen will.

Nachteile der retrograden Methode

Für die retrograde Methode werden Ausgangsdaten benötigt. Die Kostenrechnung muss also über konkrete Informationen verfügen, wie viel Material pro Kostenträger verbraucht wurde. Nicht berücksichtigt wird, wenn außergewöhnlich viel Materialien verbraucht wurden. Die Methode arbeitet ausschließlich mit den Soll-Verbrauchsmengen. Das kann das Ergebnis ungenau machen.

Materialverluste, wie durch Diebstähle oder Schäden, können zwar durch einen Zuschlag berücksichtigt werden. Doch auch hier werden realistische Erfahrungswerte benötigt. Die retrograde Methode steht und fällt also mit der Ausgangsdatenbasis.


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