Treasury 2030: Wie Künstliche Intelligenz die Rolle des Treasurers verändert

Lesezeit: 7 min.

Einleitung

Die Finanzlandschaft befindet sich im Umbruch – angetrieben vom rasanten Aufstieg der Künstlichen Intelligenz (KI). Wie beim Agicap Treasury Day in Paris betont wurde, gilt diese technologische Revolution als die bedeutendste seit der Entdeckung der Elektrizität – und übertrifft sogar die Auswirkungen von Computer, Internet und Smartphone.„Wir leben in einer aufregenden Epoche, in der die Menschheit durch die Künstliche Intelligenz eine noch nie dagewesene technologische Revolution erfährt.“, eröffnete Mickaël Jordan, CRO von Agicap, die Diskussion mit einem klaren Ausblick auf die Zukunft des Treasury Managements.

Gerade für mittelständische Unternehmen ist die Bedeutung von KI besonders strategisch. Diese Unternehmen müssen Agilität und Effizienz mit einem hohen Maß an Risikomanagement und Compliance in Einklang bringen. Die Integration von KI in Treasury-Funktionen verspricht nicht nur die Automatisierung routinemäßiger Aufgaben, sondern auch eine verbesserte Entscheidungsfindung, präzisere Forecasts und eine engere Zusammenarbeit zwischen Finanz- und Tech-Teams. Gleichzeitig wirft dieser Wandel Fragen zur Daten-Governance, zur sich wandelnden Rolle der Treasury-Verantwortlichen und zu den künftig geforderten Kompetenzen auf.

Dieser Artikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus der Paneldiskussion mit Karine Hegbor de Souza, Director of Treasury and Financing bei Longchamp, und Dimitri Letellier, Partner für Data und KI bei RSM, zusammen. Er bietet CFOs und Treasurern mittelständischer Unternehmen eine strukturierte Analyse der Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit KI, praxisnahe Empfehlungen für die Umsetzung und eine Vision für die Treasury-Funktion im Jahr 2030.

1. Datenverantwortung und Zusammenarbeit im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz

1.1. Der Wandel der Datenverantwortung

Die Digitalisierung finanzieller Prozesse hat ein noch nie dagewesenes Datenvolumen erzeugt – und damit sowohl Chancen als auch Herausforderungen für Treasury-Teams. Wie Dimitri Letellier betonte: „Der Trend ist nicht neu: Je mehr wir Abläufe digitalisieren und automatisieren, desto zentraler werden technische Teams – insbesondere die IT – für die Geschäftsprozesse.“ Diese Entwicklung wirft eine entscheidende Frage auf: Werden Finanzabteilungen künftig die Kontrolle über Treasury-Daten an technische Teams verlieren?

Die Antwort darauf, so das Panel, liegt in einer aktiven Haltung. Finanzverantwortliche sollten selbst die Initiative ergreifen und KI-Projekte aus dem eigenen Team heraus anstoßen – und dabei technologische Kompetenzen parallel zum finanziellen Know-how aufbauen. Auf diese Weise bleibt nicht nur die Datenverantwortung in der Finanzabteilung, sondern es entsteht auch ein produktiver Kreislauf aus Innovation und Zusammenarbeit mit der IT.

1.2. Synergien zwischen Finance, Data und IT schaffen

Bei Longchamp verwaltet ein Treasury-Team von nur drei Personen die weltweiten Zahlungsströme in 26 Ländern. Karine Hegbor de Souza erläuterte, wie KI ihrem Team bereits mehr Eigenständigkeit ermöglicht hat, zum Beispiel durch die automatische Übersetzung von Bankverträgen in mehreren Sprachen. „Bei KI geht es wirklich darum, effizienter zu arbeiten und neue Möglichkeiten in unseren Abläufen zu erschließen“, betonte sie.

Longchamp verfolgt dabei den Ansatz, eigenständige Data- und IT-Teams zu unterhalten, die jeweils den Fachabteilungen zuarbeiten. Die Hauptaufgabe des Data-Teams besteht darin, die Anforderungen der verschiedenen Bereiche – darunter auch Finance – zu identifizieren und zu priorisieren. So wird sichergestellt, dass technologische Innovation immer im Einklang mit den Geschäftszielen steht und Fachwissen nicht in einer einzelnen Funktion gebündelt, sondern breit verteilt bleibt.

1.3. Von Konkurrenz zu Zusammenarbeit

Die Diskussionsteilnehmenden waren sich einig: Die Zukunft liegt in einer verstärkten Zusammenarbeit – nicht im Wettbewerb – zwischen Finanz- und Technikteams. „Es geht nicht darum, die Verantwortung auf rein technische Teams zu übertragen, sondern gemeinsam mit der IT als Business-Partner zu gestalten“, erklärte Dimitri Letellier. Dieses kollaborative Modell ermöglicht es dem Finanzbereich, Innovationen voranzutreiben und gleichzeitig auf das technische Know-how der IT- und Data-Teams zurückzugreifen.

Gerade für mittelständische Unternehmen ist dieser Ansatz besonders relevant, da die Ressourcen oft begrenzt sind und bereichsübergreifende Zusammenarbeit entscheidend für den Erfolg ist. Eine Kultur der gemeinsamen Verantwortung stellt sicher, dass KI-Initiativen echten Mehrwert schaffen – ohne Kompromisse bei der Datenhoheit oder der strategischen Ausrichtung des Unternehmens.

2. KI-gestützte Forecasts: Potenzial und Praxis

2.1. Die Weiterentwicklung von Prognose-Tools

Eine der vielversprechendsten Anwendungen von KI im Treasury ist die Automatisierung und Verbesserung von Cashflow-Prognosen. Im Panel wurde die Entwicklung von der anfänglichen Begeisterung – ausgelöst durch die öffentliche Einführung von Tools wie ChatGPT – hin zu einer realistischeren Einschätzung der Möglichkeiten diskutiert. „Nach dem ersten Hype stellten viele Unternehmen fest, dass reale Anwendungsfälle noch begrenzt oder unzuverlässig waren“, merkte Mickaël Jordan an. Tatsächlich erlebten viele Organisationen eine „Phase der Ernüchterung“, in der sich der Übergang von Ideen und Proof-of-Concepts hin zu skalierbaren Lösungen als schwierig erwies. Frühe KI-Modelle hatten oft Schwierigkeiten mit der Komplexität und Variabilität finanzieller Daten, und ihre Ergebnisse waren nicht immer zuverlässig genug für unternehmenskritische Entscheidungen.

Trotz dieser Anfangshürden entwickelt sich das Feld nun rasant weiter. KI wird zunehmend zur Automatisierung und Optimierung spezifischer Forecasting-Aufgaben eingesetzt. So können Modelle heute beispielsweise Bankabstimmungen erheblich beschleunigen, ein Prozess, der früher viel manuelle Arbeit erforderte. In einigen ERP-Systemen erfolgen diese Abstimmungen inzwischen nahezu in Echtzeit, was den Treasury-Teams wertvolle Zeit verschafft. Darüber hinaus wird KI eingesetzt, um Zahlungsverzögerungen auf Rechnungsebene vorherzusagen. Dabei fließen zahlreiche Parameter ein, etwa die Zahlungshistorie eines Kunden, die Anzahl offener Rechnungen und durchschnittliche Zahlungszyklen. Durch die Aggregation dieser internen Datenpunkte liefern KI-Modelle deutlich präzisere und verlässlichere Prognosen, und ermöglichen es Treasurern, Ein- und Auszahlungen genauer zu antizipieren.

2.2. Die Voraussetzung: Datenqualität und historische Tiefe

Trotz aller Fortschritte hängt der erfolgreiche Einsatz von KI im Forecasting maßgeblich von der Verfügbarkeit und Qualität historischer Daten ab. Karine Hegbor de Souza warnte: „Wenn wir über KI und Datenverarbeitung sprechen, dürfen wir den Aufwand und die Zeit, die für saubere Daten erforderlich sind, nicht unterschätzen.“ Bei Longchamp hat die Integration von Tochtergesellschaften ins Treasury-System teilweise dazu geführt, dass historische Daten nur eingeschränkt verfügbar sind – weshalb in einigen Fällen weiterhin auf Excel zurückgegriffen wird.

Gerade für mittelständische Unternehmen unterstreicht das die Notwendigkeit, vor dem Start von KI-basierten Forecasting-Projekten in professionelles Datenmanagement und sorgfältige Datenvalidierung zu investieren. Nur auf einer soliden Datenbasis kann KI verlässliche und umsetzbare Erkenntnisse liefern.

2.3. Sicherheit und Vertraulichkeit: Risiken richtig managen

Im Panel wurden auch die Risiken hervorgehoben, die mit Open-Source-KI-Tools verbunden sind – insbesondere im Hinblick auf den Schutz sensibler Unternehmensdaten. „Es ist sehr wichtig, Unternehmensdaten zu schützen und sicherzustellen, dass sie nicht einfach für jeden zugänglich sind“, betonte Karine Hegbor de Souza.

Die breite Nutzung von Open-Source- und öffentlich zugänglichen KI-Tools wie ChatGPT kann, wenn sie nicht klar geregelt ist, unbeabsichtigt zur Preisgabe vertraulicher Informationen führen. Solche Tools verbreiten sich oft schnell innerhalb eines Unternehmens – häufig ohne formale Kontrolle – und erhöhen so das Risiko von Datenlecks. Besonders kritisch ist das, wenn diese Tools in Regionen mit weniger strengen Datenschutzstandards gehostet werden.

Zur Risikominimierung empfahl das Panel mehrere konkrete Maßnahmen: Erstens sollten klare Richtlinien für die Nutzung von KI festgelegt und der Zugriff auf externe Plattformen regelmäßig überprüft werden. Zweitens müssen Mitarbeitende dafür sensibilisiert werden, wie wichtig Datenschutz ist – und welche Folgen es haben kann, vertrauliche Informationen in externe Tools einzugeben. Drittens sollten Unternehmen vorrangig sichere, unternehmensgerechte KI-Lösungen einsetzen, die in bestehende SaaS- oder TMS-Plattformen integriert sind und so mehr Kontrolle und bessere Compliance gewährleisten.

Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch um den Erhalt von Wettbewerbsvorteilen und das Vertrauen von Stakeholdern. Je tiefer KI in finanzielle Prozesse eingebettet wird, desto unverzichtbarer wird eine robuste Data Governance.

3. Das Nutzererlebnis von morgen: Erweiterte SaaS statt Ersatz

3.1. Die Zukunft von Treasury-Management-Systemen

Eine zentrale Zukunftsfrage ist, ob KI-Agenten klassische Treasury-Management-Systeme (TMS) und SaaS-Plattformen ersetzen werden. Einige Branchenexperten haben bereits das „Ende von SaaS“ vorhergesagt – die Panelteilnehmenden äußerten sich jedoch deutlich zurückhaltender. „Wahrscheinlicher ist es, dass wir eine Weiterentwicklung bestehender SaaS-Plattformen erleben – verstärkt durch KI –, statt eine schnelle Ablösung durch autonome Agenten“, erklärte Dimitri Letellier.

Aktuelle SaaS-Anbieter, darunter auch Agicap, integrieren bereits KI-Funktionen wie automatisiertes Reporting und Datenvisualisierung in natürlicher Sprache. Diese Erweiterungen steigern Benutzerfreundlichkeit und Effizienz – und erhalten gleichzeitig die strukturierte Umgebung, die für verlässliche finanzielle Abläufe unerlässlich ist.

3.2. Menschliche Kontrolle bleibt unverzichtbar

Auch wenn der Automatisierungsgrad weiter steigt, bleibt die menschliche Kontrolle entscheidend. „Es ist unerlässlich, die von KI gelieferten Daten und Informationen zu überprüfen, bevor Entscheidungen getroffen werden“, betonte Karine Hegbor de Souza. Veränderungen in der Geschäftstätigkeit, strategische Neuausrichtungen und die grundsätzlichen Grenzen probabilistischer Modelle machen eine fachkundige Prüfung und Validierung unverzichtbar.

Die Gefahr einer zu starken Abhängigkeit von KI ist real: „Wenn wir uns ausschließlich auf KI oder die von ihr gelieferten Informationen verlassen, laufen wir Gefahr, völlig falsche Entscheidungen zu treffen“, warnte sie. Die Rolle der Treasurer wird weiterhin Urteilsvermögen, Erfahrung und ein tiefes Verständnis des geschäftlichen Kontextes erfordern.

3.3. Fokus auf wertschöpfende Tätigkeiten

Durch die Automatisierung routinemäßiger Aufgaben wie Bankabstimmungen schafft KI Freiräume, damit Treasurer sich auf Tätigkeiten mit höherem Mehrwert konzentrieren können – etwa Finanzierung, Verhandlungen mit Banken, Risikoanalysen und strategische Planung. „Wenn KI die täglichen Probleme übernehmen kann, wäre das sehr hilfreich, weil wir dann mehr Zeit für das hätten, was wirklich zählt“, sagte Karine Hegbor de Souza.

Dieser Wandel ist besonders vorteilhaft für mittelständische Unternehmen, in denen Treasury-Teams oft klein sind und viele Aufgaben parallel übernehmen müssen. Der souveräne Umgang mit digitalen Tools wird dabei zum entscheidenden Erfolgsfaktor – und ermöglicht es Treasurern, einen noch größeren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten.

Sie möchten Ihr Finanzteam besser strukturieren und Ihr Liquiditätsmanagement effizienter gestalten? Dann laden Sie gerne unser E-Book herunter – unabhängig davon, ob Sie bereits KI nutzen oder nicht.

4. Kompetenzen und Weiterbildung: Teams auf die KI-Revolution vorbereiten

4.1. Technische und menschliche Kompetenzen aufbauen

Die Panelteilnehmenden waren sich einig: Kontinuierliche Weiterbildung ist unerlässlich, damit Finanzteams nicht von der KI-Revolution abgehängt werden. „Wichtig ist es, Schulungen sowohl zu technischen Aspekten und Risikomanagement anzubieten als auch das betriebswirtschaftliche Verständnis und die Fähigkeit zur Prozessoptimierung zu fördern“, erklärte Dimitri Letellier.

Die Praxis zeigt: Es ist oft einfacher, Finanzexperten technische Fähigkeiten zu vermitteln, als Technikern die Feinheiten der Finanzwelt beizubringen. Da KI zunehmend ermöglicht, dass Fachabteilungen selbst Workflows und Automatisierungen erstellen, bleibt ein fundiertes Wissen über finanzielle Abläufe und strategische Zusammenhänge der entscheidende Differenzierungsfaktor.

4.2. Interdisziplinäre Teams und kontinuierliches Lernen

Bei Longchamp wurden bereichsübergreifende Teams eingerichtet, um KI-Innovationen zu beobachten und sicherzustellen, dass jede Abteilung in die Entwicklung neuer Tools eingebunden ist. „Als ich meine Karriere begann, war Excel-Kompetenz unerlässlich. Heute wird KI genauso selbstverständlich“, sagte Karine Hegbor de Souza. Gerade in mittelständischen Unternehmen, in denen Treasurer oft mehrere Rollen gleichzeitig ausfüllen, ist diese Denkweise besonders wichtig.

Indem Unternehmen Neugier, Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft fördern, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen, können sie ihre Teams optimal darauf vorbereiten, die Chancen der KI sinnvoll zu nutzen.

Fazit

Das Panel des Agicap Treasury Day bot einen umfassenden Überblick über die Herausforderungen und Chancen, mit denen Treasurer konfrontiert sind, während Künstliche Intelligenz die Berufsrolle neu definiert. Zu den wichtigsten Erkenntnissen zählen:

  • Check Icon

    Zusammenarbeit ist entscheidend: Finance, Data und IT müssen gemeinsam Innovationen vorantreiben – ohne dabei die Datenhoheit aus den Augen zu verlieren.

  • Check Icon

    Datenqualität ist die Grundlage: Zuverlässige, KI-gestützte Forecasts erfordern validierte, hochwertige historische Daten.

  • Check Icon

    Augmented SaaS ist die Zukunft: KI wird bestehende Plattformen nicht ersetzen, sondern gezielt erweitern – für mehr Effizienz und bessere Nutzererlebnisse.

  • Check Icon

    Menschliche Expertise bleibt unverzichtbar: Automatisierung muss durch fachkundige Kontrolle ergänzt werden, um fundierte Entscheidungen zu sichern.

  • Check Icon

    Kontinuierliche Weiterbildung ist Pflicht: Teams müssen sowohl technische als auch betriebswirtschaftliche Kompetenzen ausbauen, um Schritt zu halten.

Für CFOs und Treasurer mittelständischer Unternehmen führt der Weg in die Zukunft über schrittweise, praxisnahe Maßnahmen: in Datenqualität investieren, KI-Anwendungsfälle mit klarem geschäftlichem Mehrwert testen und Weiterbildung sowie bereichsübergreifende Zusammenarbeit gezielt fördern.

Die Integration von Künstlicher Intelligenz ins Treasury Management ist keine Zukunftsvision – sie hat längst begonnen. Wie eine Panelteilnehmerin treffend formulierte:„KI ist das Anti-Stress-Mittel für fundierte Entscheidungen mit ruhigem Gewissen.“ Wer diesen Wandel aktiv annimmt, schafft die Voraussetzungen für mehr Agilität, Resilienz und strategische Schlagkraft im Finanzbereich.

Agicap bleibt auch weiterhin ein verlässlicher Partner für mittelständische Unternehmen auf diesem Weg – mit Lösungen, die menschliche Expertise und technologische Innovation optimal verbinden.

Aufzeichnung der Paneldiskussion ansehen (auf Französisch)


Melden Sie sich für unseren Newsletter an.

Das wird Ihnen auch gefallen